Nach 5 Wochen ohne definniertenn Wohnsitz, habe ich nun ein eigenes Zuhause. Seit ein paar Tagen auch mit fliessendem Wasser, ein kleines Privileg in Oran. Meine Mitbewohnerin in unserem „F3“, dh unserer 3-Zimmer-Wohnung, ist Ana, Spanisch-Lektorin an der Uni. Jetzt sind wenigstens die Sorgen zerstreut, dass ich mein Spanisch hier vergesse. Wie immer habe ich sehr viel Glück mit den Mitbewohnern und die letzten 4 Tage, in denen wir Stück für Stück die Wohnung herrichteten, habe ich sehr genossen.
Jetzt aber erst einmal einen Blick zurück. Vor zwei Wochen bin ich bei meiner ersten Gastfamilie, der des Deutsch-Lektors ausgezogen, weil die Nachbarn anfingen Probleme zu machen. Sie warfen ihm und seiner Frau vor, nicht genügend auf mich aufzupassen, denn natürlich beobachteten sie jeden Schritt, den ich außer Haus machte. Sie fügten irgendwann hinzu, dass es sicher bald Probleme geben werde. Und wenn die Leute das hier sagen, dann ist es auch so, und wenn es sie selbst sind, die diese Probleme verursachen. Im Mikrokosmos „Nachbarschaft“ bot ich anscheinend viel Gelegenheit, sich zu reiben und den Alltag interessanter zu machen: Wenn es keine Probleme gibt, werden sie herbeigeredet und so manches Mal legitimisiert man sie sich selbst, indem man sie vorhersagt und davor warnt. Ich selbst bekam von all dem recht wenig mit und war jedes Mal sehr ueberrascht, wenn ich erfuhr, was ich schon wieder alles „angestellt“ hatte, weil ich zum Beispiel um 18Uhr abends noch alleine rumgelaufen bin oder zu viele Worte mit dem Verkäufer der Bäckerei gewechselt hatte . Ich gab mir Mühe meine Bewegung und meine Kommunikation in der Nachbarschaft auf ein Minimales einzuschränken. Es fiel mir jedoch schwer, zum einen weil ich, wie ihr wohl wisst, eben gerne mit jedem ein kleines Schwätzchen halte, zum anderen, weil die Uni noch nicht angefangen hatte und ich Kontakte deswegen hauptsächlich in der Nachbarschaft knüpfen konnte. Schliesslich war die Konstellation so, dass ich besser meine Sachen packte und ging, um meiner Gastfamilie nicht unnötige Sorgen zu bereiten. Ich war zu diesem Zeitpunkt etwas verunsichert, dass egal wohin ich ginge, ich unwissentlich Probleme verursachen würde.

Meine nächste Station war also eine algerische Familie, deren Tochter Halima an der Universität im Büro für Internationale Angelegenheiten arbeitet und mit der ich mich etwas angefreundet hatte. Sie fragte ich also, ob ich bei ihr unterkommen könnte und mit algerischer (arabischer?) Gastfreundschaft sagte sie „Ja, wann kommst du?“. So zog ich also an das Ende der Stadt nach Aïn El Beida (Weisses Auge) in ein nur eingeschränkt urbanisiertes Viertel. In der 12-köpfigen Großfamilie war ich sofort ein Familienmitglied mehr. Da recht viele Frauen im Haushalt waren, gab es nicht viel zu tun und wir verbrachten viel Zeit beim Kaffeetrinken. Dadurch machte ich endlich die ersten Fortschritte im Dialekt-Arabisch. Die Frauen gingen nur selten aus dem Haus, den Einkauf besorgten die Männer: Die Familie besaß unten im Haus zwei kleine Läden, eine Art Kiosk und ein Sandwich-Laden. Davon ernährten sich alle. Es gab nur einen Wasserhahn im Haus, der Rest des Wassers musste immer überallhin transportiert werden. Man verbachte möglichst viel Zeit miteinander, so dass auch ich mir angewöhnte nach der Uni oder dem Arabisch sofort nach Hause zu fahren, weil sich auch sonst alle Sorgen um mich machten (auch sie ständig erfüllt vom Misstrauen gegenüber allem vor ihrer Haustür). Das fiel mir, noch nicht so lange der eigenen Familie entwachsen, jedoch ebenfalls recht schwer. So genieße ich nun in der neuen Wohnung meine freie Zeiteinteilung, mein eigenes Zimmer und das fliessende Wasser in vollen Zügen. Die Gastfreundschaft der Familie, ihre selbstverständliche Art, alles zu teilen und ihre Geduld im Gespräch mit mir bewundere ich jedoch sehr. Nicht alle in Algerien nehmen die Worte ihres Propheten so ernst.
So habe ich zum Beispiel letzte Woche einen der berüchtigten Orte kennengelernt, in denen Alkohol ausgeschenkt wird. Alkohol ist im Islam eigentlich hram, das heißt verboten. Für die Leute, die dem aus unterschiedlichsten Gründen nicht allzuviel Beachtung schenken, gibt es etwa 3 oder 4 Bars in Oran und noch ein paar kleine Geschäfte mit Sonderlizenz. In der Bar mit dem vielsagenden Namen „Die libanesische Nacht“ (der Libanon ist um ein vielfaches europäischer als Algerien) befanden sich außer zwei für hiesige Verhältnisse sehr leicht bekleideten Kellnerinnen nur Männer und schlürften ihr Feierabendbier. An der Wand hingen Gemälde mit Frauen in unterschiedlichsten Positionen. Die Bar befindet sich im Herzen der Stadt – zwischen französischem Konsulat und dem Hotel Royal – und gleichzeitig irgendwie außerhalb der Gesellschaft. Aber sie ist jedenfalls sehr strak frequentiert und zwar nicht nur von den Ausländern die sich nach einem Schluck Bier sehnen.
Eine weitere spannende „Subkultur“ ist das Frauenfußballtraining. Ich trainiere zwei Mal die Woche mit einer Gruppe junger Frauen, die momentan in der 2. Liga Fußball spielen. Gleich bei der ersten Begegnung überraschte mich ihre Gelassenheit und Offenheit. Sie waren viel weniger reserviert im Umgang mit mir und hatten auch keine Angst mal etwas lauter zu sprechen. Sie kommen meist von außerhalb Orans zum Training und scheinen den Ausflug aus ihren kleinen Dörfern in die Stadt sehr zu genießen. Soweit ich das einschätzen kann, haben sie alle zuhause keine leichte Stellung, entsprechen sie doch in ihrer physischen Konstitution häufig nicht dem typischen Frauenbild und verfolgen ein in der algerischen Gesellschaft wirklich nicht frauentypisches Interesse. Ich hingegen freue mich regelrecht, ein paar Frauen zu treffen, die über ein großes Selbstbewusstsein und einen ungezwungenen Umgang miteinander verfügen. Und meine Pässe werden jedes Mal präziser….
Die Uni nimmt hier langsam ihren Lauf, wobei es oft genug vorkommt, dass die Professoren nicht kommen oder gleich in der ersten Stunde ankündigen “Ich werde nicht oftzum Unterricht kommen, denn ich bin Chef des Instituts“. Bitte? Da ist aber jemand wichtig. In anderen Teilen der Uni, zum Beispiel der Sprachenfakultät haben die Kurse noch gar nicht angefangen. Offizieller Semesterbeginn war Ende September. Nicht umsonst befinden sich die algerischen Unis auf den letzten Plätzen in den internationalen Rankings. Bedauernswert, denn ich habe schon sehr viele sehr beeindruckende und gut ausgebildete Profs getroffen und viele junge Leute mit Lust, zu studieren und vielen spannenden Fragen auf dem Herzen. Die sozialistische Vergangenheit des Landes hat insofern positive Spuren hinterlassen, dass das Bildungsangebot groß ist und es für jeden Studenten ein Stipendium/eine Ausbildungsförderung gibt. Leider (manche würden sagen: in Konsequenz)ist die Qualität sehr schlecht und für die Studenten – vor allem die Studentinnen – mangelt es an Perspektive. Wenn sie studieren, dann eigentlich nur für sich selbst. Es sei denn man wählt „Instrumentation“ oder verwandte Studiengänge, die einen auf die Arbeit in der Erdölindustrie vorbereiten. 95% der algerischen Einnahmen sind aus dem Erdöl/-gas, mehr gibt es nicht in Algerien, alles andere wird importiert. Zucker und ähnliche Grundnahrungsmittel werden vom Staat hochsubventioniert, damit die Bevölkerung sie sich leisten kann. Es gibt also kaum andere Arbeitsplaetze. Sozialismus und Bodenschätze sind wahrhaftig keine gute Kombination für ein Land. Das mal als etwas simple Konklusion.
So weit, jeder Tag ist hier spannend und eine Erfahrung. Kommentare willkommen!

4 Antworten to “”


  1. 1 torsten 11. November 2009 um 10:57 am

    Hallo Lisa,

    mensch, das ist echt spannend. Was soll ich sagen? Ich beneide Dich voll um Deine Erfahrungen, obwohl es bestimmt auch ziemlich anstrengend ist. Vor allem Dein Arabisch-Training on the spot hätte ich auch gerne. Mensch irgendwie inspiriert mich Dein Bericht dazu nochmal einen Kurs anzufangen. Oder vielleicht Tandem? Wenn da die böse böse Diplomarbeit nicht wäre, die ständig nach mir ruft, wenn ich mich mal mit etwas anderem beschäftige.

    Ich kann mich erinnern in einem Seminar zur Wirtschaftlichen Entwicklung im internationalen Vergleich auch mal die These gehört zu haben, dass insbesondere Erdöl ein recht undankbarer Bodenschatz ist, weil das einzige was man damit machen kann, ist, es zu exportieren und somit kaum eine verarbeitende Industrie im Land entsteht. Naja aber das ganze ist natürlich aus einer stark marktwirtschaftlichen Perspektive formuliert. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Autoren, die von Gemeinwesenökonomie oder lokaler Ökonomie in Algerien interessante Phänomene entdecken könnten.

    Anyway, viel Spaß und Glück weiterhin,
    Torsten

  2. 2 jasperoriginal 16. November 2009 um 5:36 pm

    Wirklich spannend das alles zu lesen! Viele Grüße aus dem vergleichweise fast deutschen Paris! Jasper.

  3. 3 der Ben 23. November 2009 um 10:41 pm

    Das liest sich echt gut, vielleicht solltest Du mal beim Lonely Planet anfragen wegen einer Nebenbeschäftigung ;)
    Aber mal im Ernst: Du und Fussball? Aber ist wahrscheinlich etwas kommunikativer als allein ein paar Runden zu drehen, kenn ich doch :)

    Well, well, dann halt mal die Ohren steif, und wir hören uns!

    regards

  4. 4 Ruthild 2. Dezember 2009 um 12:45 pm

    Liebe Lisa,
    schön von Dir zu hören. Am Sonntag warst Du per Bild mit Kopftuch in unserem Wohnzimmer. Die Bilder haben uns ein eher schmuddeliges und heruntergekommenes Oman gezeigt. Würde mich ehrlich nicht anmachen dort zu studieren. Dir viel Kraft und Mut für die Herausforderungen des Alltags.
    Bei uns sind Schweinegrippe (NIko) und normale Grippe (Eberhard) eingezogen. Inzwischen ist das Fieber wieder runter und es geht schon wieder besser.
    Dir herzliche Grüße aus Altensteig.


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