Dieser Eintrag entsteht in der heimeligen Wärme des Elternhauses, denn für die vergangenen Weihnachtstage bin ich nach Hause zurückgekehrt. Man kann sich wahrscheinlich vorstellen, dass Weihnachten in islamischen Ländern mit wenigen Europäern und Christen nicht besonders prickelnd ist. Die wenigen Berichte an dieser Stelle in der letzten Zeit sind darauf zurückzuführen, dass ich in diesem Land nun Fuß gefasst habe und mir immer weniger Zeit für den Besuch des Internetcafés bleibt. Und das obwohl mir meine blauen Augen oder wahlweise mein deutscher Pass schon ein Freiabonnement im Internetcafé verschafft haben, denn der Besitzer verfügt über einen Sohn im heiratsfähigen Alter. Meine Wut, nicht wie ein normaler Algerier behandelt zu werden*, zwingt mich nun, möglichst nach anderen Internetcafés Ausschau zu halten.

Im November feierten die Muslime ihr größtes Fest (aid el kebir), in Deutschland „Opferfest“ genannt. Es findet immer zwei Monate nach Ramadan statt. Die Ursprungsgeschichte kennen wahrscheinlich die meisten, die von Abraham und seinem Sohn Isaak, der geopfert werden sollte. In letzter Minute zeigte Gott jedoch seine Gnade und sandte ein Schaf, das statt dessen geopfert werden sollte. Jede muslimische Familie, die es sich leisten kann, kauft sich also ein Schaf(vorzugsweise Hammel) oder ein anderes Tier und schlachtet es mit einem beherzten Schnitt am Hals. Für dieses Fest hatte mich meine erste Gastfamilie mit nach Marokko, zur Mutter meiner Gastmutter, eingeladen. Eine Gelegenheit für mich, ein traditionelles Fest in Familie zu erleben, und gleichzeitig eines der Nachbarländer Algeriens kennen zu lernen. Marokko habe ich als im Vergleich zu Algerien sehr offenes und modernes Land kennen gelernt. Gleichzeitig sind dort die arabischen und kabylischen Traditionen viel stärker erhalten geblieben. Das macht es zu einem attraktiven Reiseland, Grund genug es in den nächsten zwei Wochen noch einmal mit meinem Bruder zu bereisen. Das Opferfest war für meine Ex-Vegetarier-Seele recht hart mit anzusehen (s.u.), trotzdem eine interessante Erfahrung, die in ihrer aufgeregten Vorbereitung alle Muslime eint.

Die Uni ist langsam in Fahrt gekommen, eine erste Präsentation und schriftliche Arbeit habe ich hinter mir. Da es eine Gruppenaufgabe war, konnte ich feststellen, dass das Niveau im selbstständigen Arbeiten doch deutlich hinter den deutschen Studenten zurückbleibt, ebenso wie der Gebrauch neuer Medien, allen voran dem Internet. Wenn es gebraucht wird, so wurde von meinen Kommilitonen grundsätzlich jede Information geglaubt und nicht überprüft. Bei der beschränkten Internetkapazität im Lande ist es aber auch kein Wunder, dass der Umgang damit noch nicht von allen gelernt wurde. Ein Teil meiner Vorlesungen findet auf Arabisch statt, blöderweise scheinen mir die dortigen Professoren die interessantesten zu sein. Ich besuche die Fächer „Moderne algerische Geschichte“, „Geschichte des algerischen Befreiungskrieges“ und „Geschichte der Internationalen Beziehungen“ auf Arabisch. So mache ich mich eben immer auf mit meinem Wörterbuch und versuche wenigstens die ungefähre Thematik des Faches aufzuschnappen. Und siehe da: da das Vokabular der drei Fächer recht ähnlich ist, gelingt mir dies auch immer besser. Die inhaltliche Nachbereitung ist mit französischer Literatur möglich und auch meine Prüfungen darf ich dann auf Französisch machen.

Gleichzeitig wird mir dabei die desaströse algerische Sprachsituation immer deutlicher: Französisch ist weiterhin die Sprache der Eliten und der Wissenschaft auch wenn eine Arabisierungsbewegung in den letzten Jahrzehnten versuchte, den Einfluss der französischen Sprache auszumerzen. Bei dieser Bewegung wurde außer Acht gelassen, dass die tatsächliche Sprache des Volkes nicht etwa Arabisch ist, sondern ein fröhliches Gemisch aus Arabisch, Französisch und hier und da noch ein wenig Spanisch und Berbersprache**. Alles Offizielle geschieht also in zwei Sprachen, welche die Menschen zwar meist passiv, jedoch oft nicht aktiv beherrschen. Ihre Muttersprache, „das Algerische“ (das immerhin so stark von Arabisch variiert, dass ein Iraker den Algerier nicht versteht), wurde konsequenterweise nie anerkannt und nie kodifiziert. Während die marokkanischen Nachbarn stolz auf ihren Dialekt sind, sagt mir jeder Algerier, dass ich doch besser richtiges Arabisch lernen sollte. Wozu, wenn ich dann nicht richtig mit den Leuten kommunizieren kann? Ein verstärkender Faktor der ungeklärten Identitätsfrage der Algerier, aber aus meiner Sicht vor allem ein ernsthaftes und akutes Problem. Wie kommunizieren, wenn es keine gemeinesame Referenzsprache gibt? Jeder fügt nach Gutdünken hier ein französisches und dort ein arabisches Wort in den Satz ein. Das hat meiner Beobachtung nach häufig ein Präzisionsverlust der Sprache bzw. des Verständnisses durch den jeweiligen Gesprächspartner zur Folge. Scheinbar kann „der Algerier“ drei Sprachen sehr gut, aber keine davon so richtig, entweder weil er sie –wie Französisch und Arabisch – nicht ganz gelernt hat, oder es sie– wie das Algerische – „richtig“ gar nicht gibt. Dein Wortschatz und deine Ausdrucksweise hängen stark von deiner (Familien-)Umgebung ab.
Nach der ganzen Fußballaufregung um die Qualifikation Algeriens für die Fußballweltmeisterschaft 2010, die fast so spektakulär war wie die Frankreichs , lohnt es sich vielleicht noch etwas ausführlicher über meine Frauenfußballmannschaft zu schrieben. Frauenfußball gibt es in Algerien seit 1997 und zwar unglaublich erfolgreich. Inzwischen gibt es im Land rund 35 Vereine. Im letzten Jahr gab es sogar eine Bundesliga, die aber aufgrund Geldmangels wieder eingestampft wurde. Doch die algerische Nationalmannschaft sorgte immer wieder für Furore und sucht Kontakte weltweit unter anderem mit den deutschen Fußballerinnen. Als ich dann an die Tür meines jetzigen Vereines klopfte, wurde ich sofort mit offenen Armen empfangen. Ich hoffe sie erwarteten keine Birgit Prinz in mir. Inzwischen trainiere ich zweimal die Woche mit den algerischen Fußballerinnen. Während meiner momentanen Abwesenheit dürfte auch so langsam die Regionalliga anfangen. Bei meinen Mannschaftskolleginnen handelt es sich um Mädels zwischen 14 und 35. Sie kommen oft von weit her und stehen richtig offiziell unter Vertrag. Nur eine spielt mit Kopftuch -sicher die Frage, die den Leser am brennendsten interessiert. Sie ist jedoch Torwart. Die Mädels sprechen alle fast nur Algerisch und entsprechen wie schon an anderer Stelle erwähnt gar nicht dem Bild der Algerierin, das ich bisher entworfen habe. An Heiraten nicht zu denken, nach dem Training wird erst einmal eine geraucht und im Umgang miteinander kein Blatt vor den Mund genommen. Ein Trainingswochenende mit ihnen hat mir sehr viel Spaß bereitet und mir die Möglichkeit gegeben, etwas mehr über ihre besoondere Rolle in der Gesellschaft zu erfahren.

* vielleicht auch etwas zuviel verlangt und in so manchen Momenten konnte ich auf die Vorteile durch den deutschen Pass auch nicht verzichten
** am spannendsten dabei finde ich den Gebrauch französischer Verben, die dann nach Form des algerischen Dialektes konjugiert werden, z.B. das Verb „souffrir“, im Algerischen heißt „ich leide“ „nsouffre“, hocharabische Konjugation wäre übrigens „asouffru“ gewesen.
Opferfest

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